Erbrecht in Russland

und deutsch-russisches Erbrecht

Россия (russische Version wird gerade überarbeitet; März 2018)

1. Ein russischer Staatsbürger, wohnhaft nur in Berlin, stirbt mit Immobilienvermögen in Russland: Gilt russisches oder deutsches Erbrecht („Erbstatut“) ?

Hinweis: Für Erbfälle bis 16.08.2015 (vor in Kraft treten der EU-Erbrechts Verordnung) klicken Sie bitte → hier. Die nachfolgenden Informationen gelten nur für Erbfälle seit dem 17.08.2015.

Seit Inkrafttreten der EU – Erbrechtsveordnung hat sich die Rechtslage in deutsch-russischen Erbfällen wesentlich vereinfacht. Bis dahin kamen nämlich das deutsche internationale Erbrecht und das russische internationale Erbrecht (международное наследственное право) oft zu unterschiedlichen Ergebnissen bei Beantwortung der Frage, welches nationale Erbrecht Anwendung findet. Die Rechtslage änderte sich also, je nachdem ob der Fall vor einem deutschen oder einem russischen Gericht verhandelt wurde. Dies hat sich nunmehr wesentlich vereinfacht und dürfte kaum noch vorkommen:

Mobiliarvermögen: Nach der EU-Erbrechtsverodnung (Art. 21 EU ErbVO) und damit aus Sicht des deutschen Rechts kommt es nicht mehr auf die Nationalität des Erblassers an, sondern nur noch auf seinen gewöhnlichen Aufenthalt am Todestag. Nach russischen Recht kam es schon bisher (und bis heute) ebenfalls auf den letzten dauerhaften Aufenthaltsort (место жительства) an, Art. 1224 Abs. 1 Satz 1 und Art. 20 des Zivilgesetzbuches der Russischen Föderation (ZGB). Im Einzelfall könnte sich in der Beurteilung, wo der gewöhnliche Aufenthalt bzw. der letzte dauernde Aufenthalt war, zwar eine Abweichung zwischen deutschen und russischen Gerichten ergeben, namentlich weil die russischen Gerichte natürlich nicht an das Rechtsverständnis und die Rechtsprechung des EUGH gebunden sind. In den meisten Fällen werden sich aber keine Abweichungen ergeben.

Immobilien: Die EU-ErbVO gilt eigentlich sowohl für Immobilien, als auch für bewegliches Vermögen. Im deutsch-russischen Verhältnis gibt es aber eine Besonderheit für Immobilienvermögen. Nach Art. 75 EU-ErbVO gehen nämlich Staatsverträge der Verordnung vor und Deutschland hat bereits 1958 mit der Sowjetunion einen solchen abgeschlossen (der im Verhältnis zu Russland bis heut gilt: Nach Art. 28 Abs. 3 des Deutsch-Sowjetischen Konsularvertrages von 1958 kommt es für das anwendbare Recht bei Immobilienvermögen nicht auf die Staatsangehörigkeit oder den letzten gewöhnlichen Aufenthalt, sondern allein darauf an, wo sich die Immobilien befinden (schon die alten Lateiner kannten diese sog. „lex rei sitae“). Obwohl die EU-ErbVO das eigentlich verhindern wollte, kann es in deutsch-russischen Verhältnissen also zu der sog. Nachlassspaltung kommen, bei der auf einen Erbfall hinsichtlich eines Teil des Vermögens deutsches Erbrecht und hinsichtlich eines anderen Teil russisches Erbrecht Anwendung findet.

Die Einleitungsfrage wäre also so zu beantworten, dass für den russischen Staatsbürger mit letzten Wohnort in Berlin für sein russisches Immobilienvermögen russisches Erbrecht, für sein bewegliches Vermögen dagegen deutsches Erbrecht gilt.

Zum Erbrecht in diesem Sinne gehören dabei namentlich die Regeln über die gesetzliche Erbrfolge, Pflichtteilsrecht, Erbauseinandersetzung etc., nicht hingegen das Erbschaftsteuerrecht. Das ist gesondert nach deutschem und russischen Erbschaftsteuerrecht zu prüfen.

Zusammenfassend ergibt sich vor deutschend und russischen Gerichten ein einheitliches Bild entsprechend nachfolgender Übersicht:

Häuser, Wohnungen > Es gilt das Erbrecht des Ortes, an dem sich die Immobilie befindet, unabhängig von Staatsangehörigkeit und letztem Wohnsitz des Erblassers (gilt nach deutschem und russischem Recht)
Schmuck, Bargeld, Bankguthaben, PKWs > Fall 1: Deutscher oder russischer Erblasser mit letztem gewöhnlichen Aufenthalt in Russland

Es findet russisches Recht Anwendung

Fall 2: Deutscher oder russicher Erblasser mit letztem gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland

Es findet deutsches Recht Anwendung

Zu beachten ist, dass nach Art. 22 EU ErbVO der Erblasser abweichend von seinem gewöhnlichen Aufenthaltsort sein Heimatrecht (das Recht seiner Staatsangehörigkeit) wählen kann. Da der vorrangige deutsch-sowjetische Konsularvertrag eine Rechtswahl nicht zulässt, gilt eine solche Rechtswahl allerdings nicht für Immobilien, da diese stets nach dem Lageort zu beurteilen isnd.

Richtig kompliziert wird die Lage, wenn noch Drittstaaten betroffen sind (eine Russin mit letztem Wohnsitz in Deutschland hinterläßt Immobilien in der Schweiz). Da hier immer auch die Regelungen des Drittstaates zu beachten sind, würde eine Darstellung hier den Rahmen sprengen. Eine individuelle Beratung zum Einzelfall ist wohl unumgänglich. Wir beraten Sie ggf. gerne (Kontaktdaten siehe unten).

2. Materielles Erbrecht in Russland:

Testament (завещание)

Hat jemand ein Testament verfasst und andere Personen als seine näheren Verwandten zu seinen Erben eingesetzt, so wird dies – als Ausdruck der Testierfreiheit – vom russischen Recht anerkannt. Erben sind dann nur die im Testament benannten Personen (zum Pflichtteil siehe unten).

Das russische Recht erkennt auch Testamente an, die nach dem Recht des Staates wirksam verfasst wurden, in dem der Erblasser zuletzt seinen Wohnsitz hatte (z.B. Deutschland).

Gleichwohl kann es in der Praxis Probleme bei der Anerkennung des in Deutschland verfassten „letzten Willens“ geben. Testamente, die z.B. wegen dort vorhandenem Immobilienvermögen in Russland eröffnet werden müssen, sollten deshalb auch nach russischen Formerfordernissen errichtet werden. Dazu gehört anders – als in Deutschland – auch, dass das schriftlich und persönlich vom Erblasser verfasste Testament – von Notsituationen z.B. auf hoher See abgesehen – von einem Notar beglaubigt oder besonders verschlossen (Art. 1126 ZGB) wurde. Gemeinschaftliche Testamente von Ehegatten sind in Russland nicht zulässig (Art. 1118 Abs. 4 ZGB).

Die gesetzliche Erbfolge (наследование по закону)

Sofern der Erblasser kein Testament verfasst hat, greift in Russland – wie auch in Deutschland – die gesetzliche Erbfolge. Unterschieden wird hier zwischen acht Kategorien, wobei die wichtigsten die ersten drei sind:

  1. Kinder, Adoptivkinder, Ehegatten, Eltern
  2. Brüder, Schwestern, Halbgeschwister, Großeltern
  3. Brüder, Schwestern und Halbgeschwister der Eltern des Erblassers

Sind in einer höheren Kategorie Erben vorhanden, sind die Erben der niedrigeren Kategorie von der Erbfolge ausgeschlossen. Eine Ausnahme gilt für mit dem Erblasser verwandte oder diesem sonst nahestehende Bedürftige, die als Erben der achten Ordnung auch in den Kreis der Erben erster Ordnung aufgenommen werden können (Art. 1148 ZGB).

Die Erben einer jeweiligen Kategorie erben, ggf. zusammen mit Erben der achten Ordnung, zu gleichen Teilen. Sind in der ersten Kategorie also ein Ehemann, eine Tochter und die Mutter des Erblassers vorhanden, erben sie jeweils nur dann zu 1/3, wenn kein Erbe der achten Ordnung existiert.

Der Ehegatte kann Russland von den Bestimmungen des Familienrechts (семейное право) profitieren. Denn sofern per Ehevertrag (брачный договор) keine andere Regelung getroffen worden ist, wird jegliches Vermögen, das während der Zeit der Ehe entstanden ist, gemeinschaftliches Eigentum (общая собственность). Dieses wird dann nach dem Tod eines Ehegatten durch den Notar in zwei gleiche Teile getrennt. Zum Nachlass gehört dann nur der eine Teil des früher gemeinschaftlichen Vermögens.

Gesellschaftsrecht; Unternehmensnachfolge (наследование предприятия)

Fallen Anteile an einer Общество с ограниченной ответственностью (OOO, vergleichbar der deutschen GmbH) in den Nachlass, so hängt es von der Satzung der OOO ab, ob der Erbe Gesellschafter wird oder in Höhe des Buchwertes zum Zeitpunkt des Erbfalls abzufinden ist.

Bei einer Открытое oder Закрытое акционерное общество (OAO bzw. ЗАО, offene bzw. geschlossene Aktiengesellschaft) werden die Erben kraft Gesetzes Aktionäre (Art. 1176 Abs. 3 ZGB).

Pflichtteil (право на обязательную долю в наследстве)

Nach russischem Recht erhalten nur diejenigen Personen einen Pflichtteilsanspruch in Höhe der Hälfte des gesetzlichen Erbteils, die vom Erblasser tatsächlich Unterhaltsleistungen bezogen haben oder ihm gegenüber unterhaltsberechtigt waren (Art. 1148 ZGB i.V.m. Art. 1149 ZGB). Neben den minderjährigen Kindern sind dies regelmäßig Ehegatten, die aus Krankheitsgründen selbst nicht arbeiten können. Aber auch Personen der achten Kategorie, die nicht mit dem Erblasser verwandt waren, aber von diesem mindestens ein Jahr vor seinem Tod Unterhalt bezogen haben, können einen Pflichtteilsanspruch haben (z.B. eine Nachbarin, die der Erblasser bei sich gepflegt hat).

Erbschein (свидетельство о праве наследования)

Weil deutsche Erbscheine in Russland in Bezug auf diese Immobilien nicht anerkannt werden, ist zum Nachweis des in Deutschland eingetretenen Todes des Erblassers die deutsche Sterbeurkunde mit Apostille (= international anerkannten Beglaubigung) zu versehen. Anschließend muss das Dokument übersetzt und in Russland notariell beglaubigt werden.

Besonderheiten bei der Nachlassabwicklung

Anders als in Deutschland sind in Russland die Notare (нотариус) für die Nachlassabwicklung zuständig. Für Immobilien ist dies immer der Notar, an dessen Amtsitz sich die Immobilie befindet.

Bei der Aufteilung des Nachlasses ist zu beachten, dass nach russischem Recht bestimmte Vorrechte bestehen. Dies gilt z.B. für Ehepartner hinsichtlich der Haushaltsgegenstände, für erbende Hausmitbewohner in Bezug auf das Haus, aber auch für Erben, die zum Zeitpunkt des Erbfalls als Unternehmer registriert waren – sie haben ein Vorrecht, ein in den Nachlass fallendes Unternehmen gegen Ausgleichszahlung zu übernehmen (Art. 1178 ZGB).

Literatur zum russischen Ebrecht:

  • Solotych, Neues russisches IPR, WiRO 2002, 41
  • Masannek, Erbrecht in Russland, in: R. Süß, Erbrecht in Europa, 2. Aufl. 2008
  • Trunk, „Erben Lenins“ – Bemerkungen zum erneuerten russischen Erbrecht, FS Heldrich, 2005, S. 457.

Russische Gesetzestexte unter:

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